Abgesehen davon, dass es eine (rudimentäre) Grafik gibt, fühlt sich Heaven’s Vault absolut an wie ein Textadventure, und zwar im besten Sinne: Es gibt Unmengen an exzellenten Dialogen, eine einnehmende Geschichte, und vor allem eine geniale und sorgfältig ausgearbeitete Rätselmechanik, von der man nicht genug kriegen kann.

Man spielt eine Archäologin namens Aliya, die beauftragt wird, das Verschwinden eines Uni-Kollegen zu untersuchen. Zusammen mit ihrem Begleiter, dem Roboter Six, reist sie von Mond zu Mond, um Spuren zu finden und Zeugen zu befragen. Dabei erfährt sie auch immer mehr über die in Vergessenheit geratene Geschichte der Zivilisationen in diesem Raumsektors.

Das Besondere: Die Artefakte, anhand derer man sich die Geschehnisse zusammenpuzzelt, weisen meist Inschriften in einer alten Sprache und Schrift auf, von der Aliya zu Beginn nur wenige Grundkenntnisse hat. Bei der Entzifferung der ersten Schriftzeichen kann man daher fast nur anhand des Gegenstands und des Fundorts raten, was sie wohl bedeuten könnten. Mit der Zeit wächst Aliyas Wortschatz, und man kann sich immer längere Textstücke zusammenreimen. Diese innovative Rätselmechanik ist der Kern des Spiels und mit so viel Liebe zum Detail ausgestaltet, dass man nie müde wird, den nächsten Gegenstand zu untersuchen („nur noch schnell dieses eine Artefaktchen!“). Obwohl die Komplexität (sinnvollerweise, zum Zweck eines Spiels) begrenzt ist und man im Prinzip nur die Wörter und nicht die Grammatik der Sprache entschlüsseln muss, ergeben viele Details durchaus Sinn – beispielsweise werden Possessivpronomen wie „mein“ und „dein“ der Einfachheit halber als ganze Einheiten behandelt, aber wenn man näher hinschaut, bestehen sie aus dem Zeichen für „von“ und dem Zeichen für „ich“ bzw. „du“.

Die Welt, die man im Lauf des Spiels entdeckt, lässt sich vielleicht als poetisch-mystische Science Fiction beschreiben – eine Mischung, die an Erzählungen von Vandana Singh oder auch Spiele wie Zelda: Breath of the Wild erinnert. Archäologische und futuristische Elemente werden mühelos kombiniert, etwa wenn Personen aus längst vergangenen Epochen wieder zum Leben erwachen, indem ihre in Artefakten gespeicherten Erinnerungen in Roboterkörper eingesetzt werden. So dürftig die Grafik auch ist, zeigen sich in solchen Momenten auch clevere visuelle Ideen: die Roboter bestehen aus einem metallischen Grundgerüst, während Gesicht und Hände holographisch projiziert werden und so auch (je nach eingespeistem „Geist“) veränderlich sind.

Altes Ding entdeckt: Statue oder Maschine?

Was wirklich besticht, ist und bleibt aber der Text. Wenn man will, kann man sich quasi non-stop mit Six unterhalten, wobei die Dialoge bissig und unterhaltsam sind und sich in keiner Zeile wiederholen. Auch Aliyas Gedanken und Monologe sind erstklassig geschrieben. Bei jeder Ankunft an einem neuen Ort wird dieser durch Aliyas Beschreibung ihrer Eindrücke – bis hin zu Temperaturunterschieden und Gerüchen – sofort lebendig, auch wenn er noch so skizzenhaft aussieht.

Da verwundert es wenig, dass das Spiel von einem Entwicklerstudio stammt, das seine Wurzeln im Bereich der (textbasierten) Interactive Fiction (IF) hat. Inkle Studios wurde bekannt durch 80 Days, ein klassiches Choose-your-own-adventure-Spiel, und ink, eine Programmiersprache für diese Art von Spielen, in der auch 80 Days und Heaven’s Vault entwickelt wurden. Bezeichnend für den IF-Hintergrund ist neben der Qualität der Texte auch die Tatsache, dass Entscheidungen ungewöhnlicherweise auch wirklich den Spielverlauf beeinflussen, und dass es eine zentrale Spielmechanik gibt, die stark im Vordergrund steht.

Die in diesem Genre relativ niedrigen Einstiegshürden (kein aufwändiges Grafikdesign nötig) haben den Effekt, dass in textbasierten Spielen alle möglichen Spiel- und Erzählweisen von Autor_innen aller Art ausprobiert werden können, die sich weit (manchmal auch etwas zu weit) abseits von den gewohnten Hauptstory-und-Nebenquests-Pfaden bewegen. Sprachbasierte Rätselmechaniken sind dabei ein Klassiker; das bekannteste Beispiel ist wohl Emily Shorts Counterfeit Monkey, in dem die ganze Spielwelt aus sprachlichen Objekten besteht, die man auf verschiedene Weisen manipulieren kann (um z.B. den namensgebenden counterfeit monkey in nützlicheres counterfeit money zu verwandeln). Heaven’s Vault nimmt all das mit und macht es durch das grafische Interface noch ein Stück weit zugänglicher und bequemer – zumindest was das intuitiv und leicht von der Hand gehende linguistische Entschlüsseln angeht. Etwas unausgereifter ist die Zeitleiste, auf der alle Ereignisse eingetragen werden, die man miterlebt oder historisch rekonstruiert hat. Trotz der hakeligen Bedienung ist aber auch das ein schönes Spielelement, das Spaß macht.

Ich wünschte fast, Heaven’s Vault würde noch einen Schritt weiter gehen und diese beiden Elemente – die linguistische und historische Forschungsarbeit – noch mehr verbinden. Von wann und wo ein Gegenstand stammt, bestimmen Aliya und Six nur anhand der Fertigung und dem Material – was, wenn auch die Art der Inschriften Hinweise auf die entsprechende Zeitperiode enthalten würde? Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass das Gewinnen der Erkenntnisse über die historischen Abläufe interaktiver gestaltet sein könnte – ein Vorbild könnte mathbrushs IF-Spiel Color the Truth sein, in dem man ein Inventar aus Indizien und Zeugenaussagen hat und diese kombiniert, um zu bestimmten Schlüssen zu gelangen. Ich denke es ist Heaven’s Vault hoch anzurechnen, dass es einen ständig dazu inspiriert, über mögliche Fortführungen der Grundidee nachzudenken.

Für mich trifft Heavens‘ Vault ingesamt einen perfekten, seltenen Zwischenton zwischen unterhaltsamen, aber austauschbaren Standardadventures und originellen, aber zu obskuren Indiewerken. Bitte mehr davon, und sehr gern auch weiterhin mit Sci-Fi-Flair.

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