Es sei auf der ganzen Erde der Weltfriede anzuordnen und die Entwaffnung sämtlicher Staaten zu verlangen.
„Alle Wetter!“, rief Saltner. „Das nenne ich radikal!“

Diese radikale Anordnung stammt von den Martiern, wie die Bewohner des Mars in Kurd Laßwitz‘ frühem Science-Fiction-Roman „Auf zwei Planeten“ genannt werden. Sie haben heimlich eine Station auf und über dem Nordpol errichtet. Eine deutsch-österreichische Nordpol-Expedition per Ballon stößt versehentlich darauf und bringt damit den ersten interplanetarischen Austausch in Gang. Nach einem unglücklichen Zwischenfall zwischen einem britischen Kriegsschiff und einem martischen Luftboot mehren sich auf dem Mars die Stimmen, die Numenheit solle über die unzivilisierte Erde (oder Ba) gebracht werden – das heißt, die fortgeschrittenere Kultur des Mars (oder, wie die Martier ihn nennen, Nu) soll den Erdlingen (Baten) nahegebracht werden, notfalls mit Gewalt.

Es ist ungewöhnlich, ein so frühes Science-Fiction-Werk – „Auf zwei Planeten“ erschien 1897 und somit ein Jahr vor Wells‘ „Krieg der Welten“ – als deutschsprachiges Original und nicht in einer Übersetzung lesen zu können. Ausrufe wie oben Saltners „Alle Wetter!“ und Ausdrücke wie Lichtdepesche, Lichtfernsprecher und Glockenhelm verleihen der Erzählung ein besonderes Zeit- und Lokalkolorit. Die Technologie der Martier ist teilweise visionär: sie nutzen in großem Maßstab Solarenergie, unter anderem für Elektrofahrzeuge, und entwickeln senkrechtstartende Flugzeuge. Anderes ist wunderbar mechanisch: zum Beispiel werden Personen und Waren zwischen Nordpol- und Weltraumstation befördert, indem die Schwerkraft im dazwischenliegenden Raum im richtigen Augenblick umgekehrt wird und die Transportbehälter am oberen bzw. unteren Ende ihres Falls mit Netzen aufgefangen werden.

Im Zentrum der Geschichte steht die Kolonialisierungsbemühungen der Martier. Dieser Teil der Geschichte hat bei mir den Eindruck hinterlassen, dass der Anspruch der Martier, als fortgeschrittenere Kultur die Baten ins Licht der Zivilisiertheit/Numenheit zu führen, im Grunde nicht in Frage gestellt wird. Kritik wird lediglich an der gewaltsamen Umsetzung geübt. Die grundsätzliche Akzeptanz der Hierarchie von höher und niedriger entwickelten Kulturen wird auch ganz am Anfang der Geschichte deutlich, als die Martier erwähnen, dass sie vor den Ballonfahrern Kontakt zu Einwohnern Grönlands hatten. Numen und Baten freuen sich gemeinsam darüber, dass mit den deutsch-österreichischen Entdeckern nun endlich wenigstens halbwegs akzeptable Gesprächspartner angekommen sind: „Endlich ein paar wirkliche Bate, ein paar zivilisierte Erdbewohner!“

Besonders interessant unter den Charakteren sind die Martierinnen La und Se, die zu den ersten gehören, die in Kontakt zu den menschlichen Forschern kommen. Obwohl Laßwitz davon ausgeht, dass die Martierinnen einige Vorlieben mit den menschlichen Frauen teilen (etwa dass man sich, wenn man weiblich ist, gerne die Zeit mit Handarbeiten vertreibt, hier „chemische Handarbeiten“), denkt er in einigen wichtigen Aspekten über diesen engen Horizont hinaus. Das wird an Las immer wiederkehrenden Gedanken zu der Tatsache deutlich, dass der irdische Mann Saltner offensichtlich ziemlich verliebt in sie ist:

Las Zurückhaltung war nicht absichtslos. […] Wäre Saltner ein Martier gewesen, so hätte es keiner Vorsicht für sie bedurft. Er hätte dann gewußt, daß ihre Freundlichkeit und selbst ihre Zärtlichkeit nichts anderes waren als das ästhetische Spiel souveräner Wesen, das die Freiheit der Person nicht beschränken kann. Wie jedoch mochten die Menschen in diesem Fall denken? Durfte sie gleiche Sitten und Maßstäbe und Qualitäten voraussetzen?

„Wie Nume lieben! Du mußt wissen, wenn sie es tun, daß dies niemand etwas angeht als sie selbst und daß – ich weiß es auf Deutsch nicht recht zu sagen…“

Dieser interplanetarische Unterschied in der Auffassung von Liebe und Beziehungen, der es schwierig macht, seine Gedanken in der jeweils anderen Sprache auszudrücken, ist interessanter als vieles, was hundert Jahre später geschriebenen Science-Fiction-Geschichten so an möglichen Abweichungen vom batischen Status quo einfällt.

„Auf zwei Planeten“ ist ein lesenswertes Stück Science-Fiction-Geschichte, das so alt, dass man es inzwischen gratis lesen darf. Man findet den Roman zum Beispiel beim Projekt Gutenberg.

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