Diese Geschichte wird von einer sogenannten „SecUnit“ erzählt, die ein Erkundungsteam auf einem Planeten beschützen soll. Die Einheit nennt sich selbst in Gedanken Murderbot – zum einen, weil sie in ihrer Vergangenheit unwillentlich für Massenmord eingesetzt wurde, und zum anderen, weil sie sich heimlich selbst gehackt hat und daher theoretisch für die Kunden lebensgefährlich werden könnte. All Systems Red bildet den vielversprechenden Auftakt einer ganzen Reihe von Murderbot Diaries.

Die Story ist recht schnell erzählt: auf einem potentiell ressourcenreichen Planeten sind mehrere Gruppen mit unterschiedlichen Zielen gelandet. Nach mehreren Vorfällen erhärtet sich bald der Verdacht, dass es sogar mehr Teams sein müssen, als offiziell bekannt ist, und einige davon sind offensichtlich gerade dabei, die anderen skrupellos auszuschalten. Die Action in der Geschichte dreht sich darum, das illegal aus dem Hinterhalt operierende Team aufzuspüren, zu durchschauen und aufzuhalten. Der Sabotage- und Spionage-Plot wirkt vor allem dadurch, dass viele der Probleme durch schrottige Software profitorientierter Unternehmen und durch Datenlecks verursacht werden, ziemlich realistisch und (vielleicht zu?) zeitgenössisch.

Den besonderen Reiz der Geschichte macht aber die erzählende SecUnit aus. Im Gegensatz zu klassischen asimovschen Robotern, die glasklaren robotischen Regeln folgen, ist die Logik des moderneren Murderbots eher so fuzzy und schwer durchschaubar wie ich es von einer künstlichen Intelligenz in Zeiten neuronaler Netze erwarten würde. Die der Einheit einprogrammierte professionelle Killer-Kompetenz vermischt sich mit Scham und Unsicherheit über die eigene Andersartigkeit, mit durchwachsenen Gefühlen den Menschen gegenüber und mit Langeweile. (Letztere versucht die SecUnit zu bekämpfen, indem sie ständig im Hintergrund gigabyteweise Unterhaltungsmedien konsumiert – kommt mir auch plausibel vor.)

Obwohl viele von Murderbots Gedanken und Empfindungen ziemlich menschlich sind, gibt es immer wieder Szenen, die die Nicht-Menschlichkeit auf interessante Weise sehr deutlich machen und erzählerisch gut nutzen. Zum einen sind da die Action-Szenen, in denen die Bots nicht einfach nur menschliche Kampftechniken nachahmen, sondern wirklich die Besonderheiten ihrer Körper nutzen, die zum Teil mechanisch sind und zum Teil aus nachwachsendem organischen Material bestehen. Als unsere SecUnit etwa von einer feindlichen Einheit überwältigt und zum Auseinandernehmen auf einen Tisch gelegt wird, befreit sie sich durch einen typisch robotischen Trick:

„It felt like they were sawing my head off. A shock went through me and suddenly the rest of me was back online. I popped the joint on my left arm so I could move it in a way not usually compatible with a […] body. I reached up to the pressure and pain on my neck, and grabbed an armored wrist. I twisted my whole body and took us both off the table.“

Auch die Wahrnehmung des Murderbots ist etwas anders: statt die Augen zu benutzen (was vor allem dann unangenehm ist, wenn man den Menschen in die Augen schauen soll), greift er oft lieber auf die Sicherheitskameras der Räume zu und beobachtet so alle (inklusive sich selbst) indirekt, was zu einer interessanten Erzählperspektive führt, gerade wenn es um das distanzierte Verhältnis zwischen Mensch und Bot geht.

Die Projektleiter der Mission versteht es noch am besten, sich mit der SecUnit zu verständigen, und gewinnt dadurch deren Respekt und Zuneigung (wobei sich die Beziehung auf erholsam andere Weise entwickelt als man es von den üblichen sich in ihre Besitzer verliebenden Sexbots kennt). So fortschrittlich, gutmeinend und botfreundlich sie und das meiste restliche Wissenschaftlerteam aber auch sind, kann eine gewisse Verständnisbarriere aber bis zuletzt nicht überwunden werden. Obwohl die SecUnit im Prinzip frei agieren kann, bleibt sie geprägt von der speziellen Situation eines als Funktionsgegenstand entwickelten und gebrauchten Wesens. Sich davon zu lösen und als glücklicher, befreiter Bot zu leben, ist für sie nicht so einfach, wie ihre menschlichen Zeitgenossen es sich vorstellen. Daraus kann man verschiedenes herauslesen: dass man durch ein Leben in einer bestimmen sozialen Rolle irreparabel ohne Aussicht auf Happy End deformiert werden kann, oder auch wie schlecht die Projektion eigener Wünsche auf andere (mit fundamental anderen Erfahrungen) funktioniert.

Nebenbei ist der Murderbot / die SecUnit auch ein besonderes Beispiel für Erzähler, denen sich kein Geschlecht zuordnen lässt. Mit bestimmten Schreib- bzw. Kameratricks (Ich-Erzähler und Egoperspektive) lässt sich das relativ leicht erreichen, siehe etwa Sphinx oder Smack My Bitch Up. Der Unterschied zwischen diesen Beispielen und dem Murderbot ist dabei, dass die Geschlechteridentität des letzteres nicht als literarischer / filmischer Twist versteckt wird, sondern aus seiner Sicht gar nicht vorhanden ist. Was den Körper angeht, wird berichtet, dass er als beinahe vollkommen (und je nach Situation erschreckend) menschlich wahrgenommen wird, wenn Helm und Rüstung abgenommen werden, wobei auf nähere Details verzichtet wird. Auch das ist ein Punkt, der zwar nicht im Zentrum steht, aber durchdachter als bei vielen anderen Robotergeschichten wirkt.

Fazit soweit: Ich will mehr Murderbot-Diaries.

 

Beitragsbild: Gizmoduck aus dem Darkwing Duck Wiki

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