In diesem Klassiker von 1964 erzählt Brian Aldiss von einem postapokalyptischen Groß-Britannien, in dem die Menschen immer älter werden und keine neuen mehr nachkommen. Die wenigen Überlebenden werden nicht nur von wilden Wieselhorden geplagt, sondern auch von zunehmender Demenz und übergeschnapptem Fanatismus. Protagonist Greybeard schleppt sich gebrechlich und verwirrt durch diesen Roman.

Verursacht wurde die Situation durch einen atomaren Unfall in den Achtzigern, durch den fast alle Menschen und größeren Säugetiere unfruchtbar wurden. Greybeard (der damals noch anders hieß) und seine spätere Frau Martha waren zu diesem Zeitpunkt Kinder. Die Hauptgeschichte spielt 40 bis 50 Jahre später und folgt Greybeards und Marthas Reise an der Themse entlang. Sie flüchten zuerst aus ihrer Heimatstadt, in der inzwischen diktatorische Strukturen und Bürgerwehren entstanden sind, und später dann auch per Boot aus einer der vielen kleinen abgeschotteteten Alten-Siedlungen, in der sie im Anschluss ein paar Jahre verbrachten. Auf ihrer weiteren Reise begegnen ihnen verrückte Wunderheiler, Freakshows, in denen die wenigen doch noch hin und wieder geborenen Kinder ausgestellt werden, ausgestorbene Städte und immer wieder Gerüchte über in der Wildnis gesichtete „Gnome“. Zwischendurch eingestreut sind Rückblenden auf ihre Kindheit und ihr gemeinsames Leben, als die Gesellschaft noch nicht ganz zusammengebrochen war.


Irgendwie hatte ich mir England im Jahr 2030 futuristischer vorgestellt

Zu den interessantesten Aspekten des Buches gehört, dass die Grenzen zwischen eindeutig Eingebildetem und möglicherweise doch Wahrem immer mehr verschwimmen, je weiter die Erzählung und Greybeards Alter fortschreiten. Tut er anfangs noch vehement jedes Gerede von Gnomen, Dachsmenschen und Verjüngungskuren als verwirrtes Gebrabbel ab, zweifelt er irgendwann selbst daran, ob er nicht auch schon womöglich durch wundersame Mittel Hunderte und Tausende von Jahren am Leben ist und sich nur nicht mehr an alles erinnern kann. Und da man als Leser nicht unbedingt weiß, wie phantastisch die Geschichte angelegt ist, kann man in diese Zweifel mithineingezogen werden. Interessant ist auch Greybeards dunkles Geheimnis: insgeheim scheint er eine diffuse Freude oder Genugtuung über den Unfall zu empfinden, vielleicht weil er durch ihn zu etwas Besonderem wurde – einem der jüngsten Menschen auf der Erde –, oder einfach durch eine Art Sensations- und Katastrophenlust; was es genau ist, bleibt angenehm offen.

Von den Rückblenden fand ich die in die früheste Kindheit am gelungensten. Aus der Sicht der Kinder wird überzeugend eine Welt geschildert, in der der Unfall und seine Folgen Normalität sind und in der unbefangen über Strahlenkrankheit, Haarausfall und Sterblichkeitsraten gesprochen wird. Schwerer lesen sich die späteren Kapitel, in denen Männer in den Krieg (um die wenigen verbliebenen Kinder) ziehen, geheime Institute gründen und auf wichtige Missionen gehen, während Marthas einziger Handlungsbogen ist, entführt und gerettet zu werden. Die Dialoge zwischen Greybeard und Martha wirken sogar für die 60er Jahre merkwürdig altmodisch; prinzipiell ließe sich das vielleicht als pessimistischer Ausblick auf eine Gesellschaft lesen, in der soziale Rollen mangels jüngerer Generationen unweigerlich mehr und mehr zementiert werden, aber im Zusammenhang des Romans scheinen die Momente zwischen den beiden eher als hoffnungs- und gefühlvolle Schlüsselszenen gemeint zu sein.

Insgesamt bleibt Aldiss‘ Zukunftsvision etwas bruchstückhaft und vage. Einzelne Elemente sind durchaus eindrücklich und schauerlich-faszinierend, aber wie die Welt als Ganzes aussieht, was noch funktioniert und was nicht, und welchen Einfluss genau die Abwesenheit von Kindern hatte und was aus anderen Gründen zusammengebrochen ist, bleibt größtenteils unklar. Das mag der bewussten Entscheidung geschuldet sein, konsequent aus Greybeards Perspektive zu erzählen, der irgendwann auch den Überblick verloren hat; aber das Leseerlebnis, das sich daraus ergibt, ist eher zäh.

 

Bildquellen: Richard Lydekker, Sketch of a stoat attacking a brown hare (public domain), via Wikimedia Commons; Thames barge off Tilbury (public domain), via Wikimedia Commons.

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