Die Wissenschaftlerin Val Endrada wird beauftragt, sich mit einer Person auseinanderzusetzen, die Tedla heißt und von einem Lichtjahre entfernten Planeten stammt. Nach und nach bekommt sie Tedlas Geschichte erzählt: Tedla wuchs auf dem Planeten Gammadis in einem Hort auf. Kinder gelten auf Gammadis noch nicht als Menschen, bis sich in einem bestimmten Alter entscheidet, ob sie zu einem weiblichen oder männlichen Menschen werden, oder „blands“ – also geschlechtlose Nicht-Menschen – bleiben; letzteres ist, was Tedla passiert.

Wie alle blands wird auch Tedla im Anschluss dazu ausgebildet, alle möglichen Arbeiten im Bereich Haushalt, Kindererziehung und Pflege auszuüben (alle Erziehenden im Hort waren beispielsweise auch blands) und dabei möglichst unsichtbar zu bleiben, um die Menschen nicht zu stören. Tedla wechselt von Arbeitgeber zu Arbeitgeber oder Besitzer zu Besitzer, bis Besucher vom Planeten Capella auftauchen. Darunter ist auch der Kulturwissenschaftler Alair Galele, der im Laufe der Zeit immer interessierter an der Gesellschaft der Gammadianer und vor allem den blands wird und sich Tedla annimmt. Jahre später erreicht Tedla – inzwischen unter dem Namen Tedla Galele – den Planeten Capella, woran dann die Rahmengeschichte um Val Endrada anknüpft.

Die Autorin von Halfway Human, Carolyn Ives Gilman, wird häufig mit Ursula K. Le Guin verglichen. Etwas, das Halfway Human auf jeden Fall mit einigen Werken Le Guins gemein hat, ist der „gut gezielte Schlag in die Magengegend“ (aus dem Review zu Le Guins The Dispossessed), der einem beim Lesen – nicht nur einmal – verpasst wird. Zu Beginn entfaltet die Beschreibung des Lebens der blands einen idyllischen und geheimnisvollen Reiz: sie haben ein starkes Gemeinschaftsgefühl; es gibt klare, nützliche Aufgaben zu erfüllen; blands verwenden geheime Gänge und Infrastruktur, die für alle anderen verborgen bleibt („gray space“ – Gilman hat ein gutes Gespür für einprägsame neue Wörter). Vieles erinnert zunächst an Beschreibungen harmonischer und harmloser Dienerschaft mit spannenden Intrigen, wie man es etwa von Dowton Abbey kennt. Tedla fängt auch an, sich an dieses Leben zu gewöhnen und Gefallen daran zu finden, und als Leser bekommt man den Eindruck, dass es auf Gammadis vielleicht gar nicht so schlecht ist, ein bland zu sein statt langweiligen Beschäftigungen nachzugehen wie es die vollwertigen Menschen tun.

Das schlägt abrupt um, als Tedla dazu ausgewählt wird, nicht mehr im Hintergrund zu arbeiten, sondern einem Menschen persönlich zu assistieren. Tedlas folgende Lebensjahre sind geprägt von systematischem Missbrauch. Auch nach der Versetzung zu einem gütigeren Besitzer, den Tedla bewundert, bleiben ebenbürtige Beziehungen zu Menschen für Tedla unmöglich; es ergeben sich immer von Abhängigkeit geprägte Verhältnisse – davon ist auch Galele nicht ausgenommen, selbst wenn er derjenige ist, der verursacht, dass Tedla anfängt sich von den blands und dem früheren Selbst zu distanzieren.

Halfway Human findet sich auf Listen feministischer Science Fiction und wird auf Wikipedia als „Gender Science Fiction“ eingeordnet. Das greift eigentlich zu kurz: Tedlas Erzählung führt die Unerträglichkeit jeglicher Konstellationen, in denen Menschen von anderen Menschen als nur halfway human angesehen werden, extrem anschaulich vor Augen. Es bleibt auch längere Zeit nach dem Lesen schwierig, bei solchen Machtungleichgewichten, die einem ständig begegnen, nicht an Gammadis zurückzudenken.

Obwohl Tedlas Geschichte den ergreifenden Kern des Romans bildet, sind auch Alair Galele und Val Endrada interessante Figuren. Galele hat den ambitionierten Anspruch, sowohl den blands als auch den anderen Gammadianern zu helfen, sich selbst besser zu verstehen. Er ist überzeugt davon, dass das nur dadurch möglich ist, indem man unnachgiebig den Ursachen für bestehende Tabus und (für beide Seiten) unangenehme Themen nachgeht. Galele ist charakterstark und sympathisch, aber alles andere als eine ungebrochene Identifikationsfigur; seine Einmischung von außen, sein ebenfalls asymmetrisches Verhältnis zu Tedla als Lehrer und Vormund und schließlich Enthüllungen über Unverzeihliches in seiner Vergangenheit machen es schwer, ein eindeutiges Urteil über ihn zu fällen.

Die Rahmenstory rund um Val Endrada wirkt etwas skizzenhafter und weniger lebhaft als Tedlas Geschichte-in-der-Geschichte, fügt aber noch ganze andere Aspekte hinzu. Basierend auf der Sci-Fi-Idee, dass in der hier beschriebenen Zukunft Informationen die einzige Ware ist, die die relevanten Entfernungen von mehreren Lichtjahren profitbringend überwinden kann, wird eine Welt beschrieben, in der eine Handvoll von Mega-IT-Konzernen die gesamte Wirtschaft beherrscht. Davon ist auch Val als Wissenschaftlerin nicht unbeeinflusst: obwohl sie Solidarität und Mitleid mit Tedla empfindet, hadert sie damit, die Erkenntnisse öffentlich zu machen – weil es ihrer Karriere schaden würde, solche Exklusivinformationen nicht für gewinnbringende Publikationsdeals zu nutzen. Damit präsentiert Halfway Human (aus dem Jahr 1998) nebenbei noch eine Zukunftsvision, die einiges über die Realität (in nicht einmal überspitzter Form) auf den Punkt bringt.

Insgesamt ein unglaublicher Debütroman von Carolyn Ives Gilman, der dazu drängt, sich mit dem restlichen Werk der Autorin auseinanderzusetzen.

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