Der Klappentext meiner Ausgabe von Lord of Light fragt:

„How has the colonization of another planet become a re-enactment of Eastern religion and mythology?“

Sehr gute Frage!

Was wir im Roman ausführlich erzählt bekommen, dreht sich um eine Auseinandersetzung zwischen Figuren aus der hinduistischen Götterwelt, an der Zelazny sich bedient: Wir erfahren, wie dekadent Brahma, Yama, Kali und die anderen im Himmel residieren; wie sie die Menschen unterdrücken und deren technologischen Fortschrift blockieren, um ihre eigene Macht erhalten; wie sich einer gegen sie auflehnt und im Zuge dessen eine neue Religion gründet; und welche Intrigen, Absprachen und Betrügereien dabei zwischen Göttern, Menschen und Dämonen ablaufen.

Was man sich dagegen aus kleinen Andeutungen zusammenreimen kann: Die, die sich als Götter bezeichnen, sind wohl mit einem Raumschiff auf dem Planeten gelandet und haben durch Mutationen und Enhancements übernatürlich anmutende Fähigkeiten erlangt; die Leute, über die sie herrschen, sind Nachkommen ihrer Passagiere; und die Dämonen, mit denen oder gegen die sie kämpfen, sind die ursprünglichen Bewohner des Planeten.

Obwohl allerorten betont wird, dass Lord of Light sich an der Grenze zwischen Fantasy und Science-Fiction bewegt, gibt es kaum eine Inhaltsangabe, die nicht zuerst den Scifi-Teil, also die Raumschiffgeschichte beschreibt, die nur einen Bruchteil des Buches ausmacht und sich eher zwischen den Zeilen abspielt; als ließe sich die Story auf keinen Fall erzählen, ohne von Anfang zu betonen, dass sich da Leute nur als Götter ausgeben. Das hat mich überrascht: mein Eindruck war, dass der Roman auch andere Lesarten zulässt und zulassen will – was, wenn man es etwa als eine Geschichte über tatsächliche Götter liest, die eine sehr interessante Vergangenheit haben?

Was mich beim Durchforsten der Rezensionen auch überrascht hat, war wieder, wie unterschiedlich die Auffassungen von Humor doch sein können: in manchen Reviews und Kommentaren finden sich Beschwerden über Wortwitze, etwa hier: „And then there was that pun. Just the one. It’s not a funny book. Why on earth is there a random shaggy dog story stuck into it?“ Entschuldigung – it’s not a funny book? Es fällt mir sehr schwer mir vorzustellen, dass Zelazny beim Verfassen der absurd archaisch anmutenden Dialoge („Are you he who loved the goddess of Death?“ – „It is he. Who are you, man?“) nicht unheimliche Freude gehabt hat¹; oder beim Schreiben der vielen großartigen, ritualisierten, fast schon rundenbasierten Zweikämpfe zwischen übermächtigen göttlichen Mutanten; oder beim Einstreuen kleiner Hinweise auf den menschlichen Kern der Götter – etwa durch ihre Vorliebe zum Zigarettenrauchen und zum Einflechten unpassend moderner Begrifflichkeiten (was beides auch in den Chroniken von Amber zu schönen Brüchen mit dem Fantasysetting führt).

Wunderbar ist auch, dass alle Charaktere unter einer Kopfschmerzen verursachend hohen Anzahl an verschiedenen Namen bekannt sind, wie es sich für Götter gehört; zudem sind Bezeichnungen wie „Brahma“ oder „Kali“ hier eher als Funktionen zu verstehen, die immer besetzt bleiben müssen, aber zu verschiedenen Zeitpunkten von verschiedenen Individuen erfüllt werden („Who is Brahma now?“) – alle können unter Beibehaltung ihrer Seele relativ mühelos ihre Körper und Rollen wechseln, was zu einem großartigen Verschwimmen von Identitäten und Geschlechtern führt.

Von der Form her ist Lord of Light die vergleichsweise aufgeräumteste Zelazny-Geschichte, die ich bisher gelesen habe. Sie hat einen sorgfältig konstruierten zeitlichen Aufbau: Anfang und Ende rahmen alles dazwischen zeitlich ein; jedem Kapitel geht eine kleine Einleitung und ein Zitat voran; stellenweise steht die Form ikonisch für den Inhalt, etwa wenn die Protagonisten sich in einem Raum Raum Raum voller voller voller Spiegel Spiegel Spiegel befinden, in denen alles hundertfach reflektiert wird.

Inhaltlich mischt sich Ordnung mit Chaos. Die Hauptgeschichte wird groß angelegt und klassisch-episch ausgeführt. Auf der zwischenmenschlichen Ebene finden dagegen Begegnungen und Auseinandersetzungen statt, die beinahe arbiträr wirken. Beides zusammen passt ziemlich gut zur göttlich-menschlichen Thematik. Alles fügt sich wundersam zusammen zu einem Genregrenzen sprengenden Schlachtfeld, das zwischen Epos, Mystik, Pulp und Sci-Fi wabert und sich seinen Ruf als Meisterwerk verdient hat.

 

¹ G.R.R. Martin behauptet in seinem Nachwort, Zelazny habe ihm mal verraten, dass er das ganze Buch um diesen einen Wortwitz aufgebaut hat, der ihm eingefallen ist – finde ich sehr plausibel.

 

Bildquelle: Screenshot aus Mortal Kombat II, von hier

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