Die Geschichte spielt in einer fernen Zukunft und dreht sich um drei Personen: die Präsidentin, die Admiralin und den Shunkan. Die Präsident regiert einen riesigen interplanetarischen Verbund. Was mit der Admiralin geschehen ist, bleibt zunächst unklar, man erfährt nur, dass Suchteams der Regierung seit Jahrzehnten „nach ihrem Gesicht suchen“. Der Shunkan ist im Exil an einem entlegenen Ort. Die drei verbindet ihre jeweilige Rolle in einem weit zurückliegenden Krieg: Die Präsidentin und die Admiralin waren enge Verbündete, der Shunkan rebellierte gegen sie. Was sie alle wieder zueinanderführt, sind Vorbereitungen auf die Pulsarnacht: ein paradoxes physikalisches Ereignis, das zum einen aus der Mythologie eines belächelten Volkes bekannt ist, an dessen Bevorstehen verstörenderweise aber auch eine allgemein als höchstentwickelt anerkannte Spezies glaubt.

Der Detailreichtum des ausgearbeiteten Universums macht beim Lesen viel Spaß: Die außerirdischen Spezies sind glaubwürdig, sowohl die relativ menschenähnlichen als auch die ganz weit entfernten (etwa planetengroße „Extremophile“, die Sonnen umkreisen). Die Technologien und physikalischen Gegebenheiten sind detailliert und faszinierend beschrieben, was vielleicht damit zu tun hat, dass der Autor nicht nur Redakteur ist (früher u.a. bei der Spex, momentan bei der FAZ), sondern auch Physik studiert hat. Entfernungen, Zeitverschiebungen, Gleichzeitigkeit, das Verhältnis von Zeit und Raum spielen dabei eine besondere Rolle. Aber auch die Sprache, die die Menschen in dieser Zukunft sprechen, ist wunderbar gestaltet. Alle duzen sich und sprechen irgendwie flapsiger als heute, aber es wirkt nicht albern. Manchmal tauchen englische Begriffe als Relikte aus der „alten Sprache“ auf. Neue Wörter fügen sich angenehm in den Sprachfluss ein, erschließen sich langsam, aber beständig im Verlauf der Geschichte und klingen auch nach dem Ende des Buches nach. Ein Beispiel: Als „Breven“ werden sämtliche Kunstformen bezeichnet, die hauptsächlich einen Sinn ansprechen, wie Musik oder Gedichte, während „Environs“ Kunstwerke sind, die als virtuelle Ereignisse ein umfassendes Sinneserlebnis vermitteln – Begriffe, die man sich in nicht allzu ferner Zukunft als nützlich vorstellen kann (enttäuschenderweise findet sich am Ende des Buches ein Glossar, das ich zum Glück erst nach dem Lesen entdeckt habe).

In „Pulsarnacht“ werden – was in der Science-Fiction-Literatur nicht selbstverständlich ist – heutige Kategorien und Formen des Zusammenlebens nicht unangetastet in die Zukunft verfrachtet und auch allen nicht-menschlichen Gesellschaften auferlegt, sondern es wird eine mögliche Weiterentwicklung erkundet. Ganz gelöst von den Geschlechterkategorien hat sich die Menschheit noch nicht – es wird zwischen Männern und Frauen unterschieden, allerdings kann jederzeit relativ mühelos zwischen den Geschlechtern gewechselt werden, was einige der Protagonisten auch machen. Was sich dabei genau ändert, wird nicht ganz klar: Es scheint in gewissem Maße die äußere Erscheinung zu betreffen (man ändert den Haarschnitt…?), anatomische Details werden allerdings nicht genannt. Auf zwischenmenschliche Interaktionen scheint es keinerlei Einfluss zu haben. Die Sache bleibt irgendwie unausgegoren; ich frage mich aber, ob das nicht praktische sprachlich-schriftstellerische Gründe hat (ein experimenteller Ansatz zu deutschsprachiger Literatur mit völliger Geschlechterambiguität findet sich in der vor Kurzem erschienenen deutschen Übersetzung von Anne F. Garrétas Roman „Sphinx“ aus dem Jahr 1986). Heute übliche Beziehungskategorien werden konsequenter aufgelöst: Die Verhältnisse der Pulsarnachtfiguren in freundschaftlich, partnerschaftlich oder sexuell zu einteilen zu wollen würde fehlschlagen.

All das scheint zunächst über den Großteil des Buches hinweg ein erfreulich wohlüberlegter, aber nebensächlicher Aspekt zu sein. Bis dahin liest es sich spannend, unterhaltsam, herzerwärmend, aber vielleicht auch etwas glatt. Gegen Ende wird dann was ein Nebenaspekt zu sein schien zum Mittelpunkt der gesamten Geschichte: Die Präsidentin bietet dem Shunkan im Exil und seinen beiden Mit-Rebellen und -Exilanten Begnadigung an unter der merkwürdigen Bedingung, eine Breve zu verfassen über den Krieg und diese ganze Geschichte. Alle drei verfassen Breven, und man bekommt sie in voller Länge zu lesen. In allen dreien geht es um zwei Liebende und das Auftauchen von etwas oder jemandem Dritten, der als faszinierende, aber bedrohliche Versuchung bewertet und abgewiesen wird, was sich als verhängnisvoller Fehler heraustellt. Das scheint für alle drei der Kern des ganzen Konflikts gewesen zu sein. Die Präsidentin interpretiert die Breven auf relativ abstrakter Ebene so, dass es um sie, ihre Herrschaft und die Ideen des Shunkans geht; es liegt aber auch nahe, es auf die privaten Konstellationen Präsidentin-Admiralin-Shunkan oder auch auf den Shunkan und seine zwei Mitexilanten zu beziehen. Die Breven sind simpel, direkt und repetitiv; wie man mit etwas „Drittem“ umgeht und ob man es ablehnen oder annehmen sollte, stellt im Nachinein betrachtet die zentrale Frage in Pulsarnacht dar.

Wer Liebesdreiecke nach ständig gleichen Mustern satt hat, findet in „Pulsarnacht“ stattdessen eine verstörend gründliche Hinterfragung und Destruktion aller darin üblicherweise enthaltenen Grundannahmen.

(Bild: NASA/DOE/Fermi LAT Collaboration)

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