In Nancy Kress‘ Nebula-Award-gekröntem Werk wird eine Evolutionsgenetikerin in die Geschehnisse rund um den ersten Kontakt mit Besuchern aus einem anderen Sternensystem hineingezogen. Achtung – Spoiler!

In Tomorrow’s Kin gilt: Aliens sind auch nur Menschen. Vor mehr als 70.000 Jahren wurde ein Teil der damaligen Menschheit von Unbekannten auf einen anderen Planeten gebracht. Jetzt kehren sie zurück. Der Anlass für den Besuch ist eine drohende kosmische Katastrophe, die beide Planeten in Gefahr bringt. Dieses Ereignis markiert den „Tag 0“ – die Geschichte beginnt bei minus 10,5 Monaten damit, dass Dr. Marianne Jenner eingeladen wird mitzuhelfen, innerhalb der wenigen verbleibenden Monate an einer Lösung mitzuarbeiten. Nebenbei soll sie nach Angehörigen der Außerirdischen zu fahnden, die zu einer genetischen Gruppe gehören, mit der sie sich in ihrer Forschung beschäftigt hat (was erklärt, wieso ausgerechnet sie angefragt wird). Auch nach dem Eintreten des apokalyptischen Tages und nach Abzug der Aliens bleibt sie lange in die Konsequenzen ihres Besuchs verwickelt; das Buch endet erst bei plus 9 Jahren.

Die Geschichte, die Nancy Kress erzählt, ist vielschichtig: es geht um Familienverhältnisse, die Bedeutung biologischer Verwandschaft und um Abwägungen zwischen Gastfreundschaft, Forschungsdrang und Sicherheitsbedenken. Bei den meisten Charakteren, etwa Dr. Jenners Kindern, hat man das Gefühl, dass sie sehr auf diese Motive hin konstruiert wurden: ihre Tochter ist Polizistin im Grenzschutz, einer der Söhne Biologe und Aktivist gegen invasive Spezies. Auch andere Figuren bleiben eher schablonenhaft: der kluge, aber kühle und verkopfte Kollege; die ungebildete, aber schlagfertige und herzensgute Assistentin aus der Bronx. Dennoch kann ich nicht behaupten, dass sie mich kalt gelassen haben – Kress schreibt gut und schafft es, dass einem alle dennoch ans Herz wachsen. Das gilt vor allem für die Heldin der Geschichte, Marianne Jenner, auf die die Kritik der Stereotypität nicht zutrifft. Mit ihr hat Nancy Kress eine ungewöhnliche Heldin erschaffen, die die ganze Geschichte trägt und zusammenhält.

Von den Einzelheiten des Romans sind einige sehr gelungen: z.B. beginnt die Geschichte zu einem interessanten Zeitpunkt, als die Außerirdischen schon seit einer Weile da sind und ihre im Hudson River platzierte „Embassy“ Teil des normalen Stadtbilds von New York geworden ist, aber bevor der Kontakt zu ihnen richtig in Gang gekommen ist. Ein schönes Detail ist auch, dass die Bezeichnung „Denebs“ hängenbleibt, obwohl sich die Beobachtung, dass sie ungefähr aus der Richtung des Sterns Deneb gekommen sind, später als ungenau herausstellt. Andere Details sind eher irritierend, etwa dass niemand, der nicht Amerikaner ist, mehr als ein paar Worte gebrochenes Englisch zu sprechen scheint (weder Restaurantbesitzer in New York, noch UN-Abgeordnete und Kosmonauten). Ein bisschen enttäuschend ist auch die Beschreibung der (einen) Sprache der Denebs als „exotisch“ aufgrund von „vielen Klicks und Trills“.

Etwas schwerer zu schlucken als diese Kleinigkeiten fand ich den beständigen Fokus auf Biologisches. Das ist bei der gewählten Prämisse verständlich, aber es ist dennoch schade, dass der Tatsache der genetischen Verwandtschaft so eine große Rolle beimessen wird. Das gilt sowohl für Diskussionen darüber, ob man man den Denebs trauen und helfen sollte, als auch für die Gefühle ihrer irdischen Verwandten, die sich entscheiden müssen, ob sie mit den Denebs die Erde verlassen wollen. Andere – soziale, philosophische, ethische – Argumente, die mich mehr interessiert hätten, kommen vergleichsweise kurz.

Trotzdem erzählt „Tomorrow’s Kin“ auf einnehmende und unterhaltsame Weise von einer außergewöhnlichen erster-Kontakt-Situation. Wenn ich es richtig verstanden habe, dass es den Auftakt zu einer Trilogie bildet, werde ich wahrscheinlich nicht widerstehen können mir anzusehen, wie es mit der Erde und der „Welt“ (wie der Planet der Denebs auch genannt wird) weitergeht.

(Vielen Dank auf jeden Fall an Johannes fürs Empfehlen und Ausleihen!)

(Bildquelle: Zephyris, Wikimedia Commons)

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