Schaum spielt eine besondere Rolle in Daths Roman über eine ferne Zukunft auf der terrageformten Venus. Gehirne und andere Oberflächen sind von einem feinen Schäumchen überzogen, das die Schnittstelle zwischen Körper und Geist bildet. Das erlaubt es einem etwa, ohne Umweg über einen Bildschirm auf das allgegenwärtige virtuelle Netz zuzugreifen, in dem man zig Chat-, News- und Arbeitsfenster gleichzeitig direkt vor seinem „Innenauge“ managt. Auch in der Politik spielen Geister und Körper eine wichtige Rolle – im Moment herrscht das B=D=K („Bundwerk“), eine Vereinigung von altmodischen „biotischen“ Menschen, „diskreten“ Robotern und „kontinuierlichen“ körperlosen künstlichen Intelligenzen. Die Übergänge sind teilweise fließend: manche Kontinuierliche lassen sich in diskrete und angeblich auch biotische Körper einpflanzen; andersherum gibt es Maschinen und Menschen, die von der Befreiung von ihren Körpern träumen. Der B=D=K entwickelt allerdings zunehmend tyrannische und menschen-, roboter- und KI-verachtende Züge; das Versprechen ist aber, dass er nur eine Zwischenstufe zum finalen „Freiwerk“ darstellt, in dem endlich alle gemeinsam ein gutes Leben führen können sollen.
Die bei allen künstlichen und natürlichen Intelligenzen zum Einsatz kommende schaumige Schnittstelle ist wunderbar ausgestaltet. Besonders anschaulich wird ihre ständige Verfügbarkeit etwa in einer Szene im Theater, bei der der Protagonist Nikolas Helander seinen Blick über das Publikum schweifen lässt und sich unendlich viele Informationen und Bilder über die sichtbaren Gesichter legen; oder in einer späteren Szene, bei der Nikolas neben seiner Freundin (die er zuvor im Theater so lange analysiert hat, bis diese auf ihn aufmerksam wurde) liegt und beide teilweise unabhängig voneinander, teilweise verlinkt, vor ihren Innenaugen ihren Kontakten und Geschäften nachgehen.
Weniger greifbar war für mich dagegen die politische Situation der Venus und die Motivation der zahlreichen Figuren. Ich hätte eine explizitere Nacherzählung der Ereignisse gebraucht, die sich zwischen heute und der Erzählzeit abgespielt haben, also wie und woraus ist dieses Bundwerk entstanden ist. Zum Teil wird das Verständnis dadurch erschwert, dass der Erzähler uns hier im Nachhinein, sozusagen in Form von Memoiren, seine Sicht auf Dinge präsentiert, die ansonsten inzwischen zum historischen Allgemeinwissen aller Bewohner des Sonnensystems gehören. Erklärende Infodump-Passagen (die mir geholfen hätten) sind daher leider nicht drin, weil sie ein Stilbruch wären. In Daths Pulsarnacht wurde dem Leser, der mit einer Fülle an neuen Begriffen und Konzepten konfrontiert wird, zwar auch einiges abverlangt und nicht alles wird vollständig geklärt. In einer so mythisch-poetisch angelegten Geschichte finde ich das aber reizvoller als in einem politischen Intrigenstück.
Ein anderes kleines Problem mit dem Erzählstil hatte ich aufgrund von einer Tirade (die einer eigentlich sympathischen Figur in den Mund gelegt wird) über die Schönheit der alten irdischen Sprachen und den verwerflichen Sprachverfall, der irgendwann eingesetzt habe. I bims immer skeptisch, wenn Sprachwandel verteufelt und von Konjunktiven und Schachtelsätzen geschwärmt wird, die eine sprachliche Varietät einer anderen überlegen machen sollen. Schon klar, dass hier nicht unbedingt der Autor selbst spricht, aber nach dieser Passage fiel es mir schwer, den extravaganten Stil des Erzählers – eine Mischung aus komplexen, fast archaischen Konstruktionen und wunderbar umgangsprachlichen Ausdrücken, die mir anfangs ganz gut gefiel – nicht doch ein bisschen angeberisch zu finden.
Diese eben erwähnte Nebenfigur, von der die Tirade stammt, gehört zu einem Teil der Geschichte, bei dem ich mir auch etwas unsicher bin, wie ich ihn finden soll: sie lebt in einer queeren Gemeinschaft abgeschieden auf dem Land, wo die Leute alle möglichen genetischen Selbstveränderungsmöglichkeiten ausschöpfen und in verschiedensten Konstellationen zusammenleben. Diese „Neukörper“ werden von manchen als Visionäre, von manchen als Problem, aber von niemandem als normal angesehen. Anders als in der Pulsarnacht, in deren Welt Beziehungs- und Geschlechternormen weitgehend aufgelöst sind, herrscht in den Städten dieser Venus sehr konventionelle trinkende und singende Verbrüderung unter Männern, mit vereinzeltem Auftreten schöner oder bedrohlicher Frauen, und alles Abweichende ballt sich in einer einzigen Aussteigercommunity. Das lässt sich zwar auch als pessimistischer Kommentar verstehen, macht alles aber auch etwas weniger interessant. Es gibt jedoch sehr erwähnenswerte Ausnahmen, vor allem in Hinblick auf Beziehungen zwischen biotischen und künstlichen Menschen: in einem der schönsten Momente des Buchs lehnt sich Nikolas an einen Brustkorb, in dem kein Herzschlag zu spüren ist – den seines robotischen Liebhabers.
Ich vermute, dass kaum etwas in der nächsten Zeit eine größere Rolle in der Science-Fiction spielen wird als körperlose und körperliche KIs und wie sie mit uns umgehen. Hierzu hat Dath einen schwer verdaulichen Brocken vorgelegt, der einen nicht so schnell loslässt. Wieder: außergewöhnlich lesenswert.
Bildquelle: „Lots of eyes in the kitchen sink“ von stanze (CC BY 2.0).