Nach Wandering Earth fühlt sich Claire Denis High Life wie eine Antipode an, erfüllend deprimierend wie das vierte Bier. In beiden Filmen geht es um unendliche Reisen zu den Sternen, in beiden spielen Väter eine wichtige Rolle. Der chinesische Blockbuster ist aseptisch – der digitale Schmutz schnell abgewaschen, die Familienbeziehungen schnell wieder zurückverstaut im Baukasten. High Life hält uns trotzig-stolz den Abwassertank ins Gesicht und wirft uns im cold open bei 3 Kelvin direkt in medias res des Welt-All-tags eines alleinerziehenden jungen Vaters.
Monte schraubt irgendwas mit einer alten Ratsche am Raumschiff. Im Ohr hat er – und wir im Publikum fast noch lauter – seine Tochter, die schreit und schreit und schreit – nach Zuwendung oder Essen oder weil der Video-Stream von der Erde nur einen rassistischen Klassiker von 1914 zu bieten hat. Wo normalerweise der Sauerstoff-Alarm Dringlichkeit erzeugt, ist dieses futuristisch-unfuturistische Babyfon eine fantastische Neuerung.
Monte wird gespielt von Robert Pattinson, der die Wandlung von distanziert zu involviert bravurös abzieht. Monte reißt sich dann doch zusammen, wie das ein Vater eben tun muss, und versucht seiner Tochter Willow ihre erstes Wort beizubringen: Tabu, nach Mama und Papa vielleicht die dritteinfachste Silbenkonfiguration, in der sich aber die ganze eklige Human Condition spiegelt. Oberflächlich bezieht er sich auf die Recyclinganlage, die ihre Fäkalien (zu Asche, dann) zu Essen verwandelt; natürlich ahnen wir, dass im Raumschiffsgarten andere Leichen begraben liegen.
Sie fliehen vor Leichen im Keller, auf der Erde. Ein nicht wirklich freiwilliges Himmelfahrtskommando für meist jugendliche Kriminelle, das sie in einem Raumschiff zu einem Schwarzen Loch schickt – zu Forschungszwecken, aber auch, um sie loszuwerden. Unser fast namenloses Raumschiff (es ist eine Nummer 7) beschleunigt konstant – was bequeme Gravitation erzeugt und seine Insassen grounded. Aber es bringt uns auch immer weiter (und immer schneller weiter!) von der Erde weg. Nicht dass sich jemand wirklich Illusionen über eine Rückkehr gemacht hätte, schon gar nicht das Team, bzw. der Zellenblock. Wie etwa in Alien haben wir ein Ensemble aus mehr oder weniger gestörten Charakteren, wo natürlich sexuelle Konflikte vorprogrammiert sind. High Life scheut sich nicht, diese in voller Brutalität und dann auch herausfordernd verkehrt in „exploity revenge“ zu zeigen. Das ganze wird sogar verpackt in erstaunliches Worldbuilding, das auf den ersten Blick abstrus und pulpy wirkt, auf den zweiten perfide pragmatisch: Wie sperrt man Jungs und Mädchen in ein enges Raumschiff, für… immer? Erstens, gamifizierte Sedierung, zweitens, eine Fuckbox, inklusive automatischer Waschanlage. Die einzige offizielle Autoritätsperson, Dr Dibs (was für ein Name!) verabreicht ersteres und nutzt offen zweiteres. Ihre mehr oder weniger persönliche, nicht wirklich freiwillige Mission sind übrigens Fruchtbarkeitsexperimente. Juliette Binoche spielt diese Hexen-Rolle (eine Selbstzuschreibung der Figur und des Films) äußerst überzeugend zwischen Verzweiflung, Forschergeist, und Fuck-It-All-Attitüde – we’re fucked so why not fuck.
High Life springt vor-und-zurück-und-vor und zeigt wie Monte Vater wurde und wieso er am Ende alleine mit seiner Tochter ist, und schließlich, spoiler alert, so alleine mit ihr, wie es nur geht. Ein bisschen wie Interstellar, nur ohne zirkuläre Zeitreisen (die einzige Zeitreise ist nach vorne – in einem angenehm hard-sci-fi-igen Schulterzucken informiert uns der Film, dass auf der Erde das zwanzigfache der Filmzeit vergangen ist). Die europäische Produktion ist dann auch so ein bisschen Euro-Interstellar: ebenfalls lo-fi postapokalyptisch, nur weniger Budget, und braun, grau, dunkelgelb. Der Film sieht aus wie in den 90ern gedreht mit Technologie aus den 70ern. Der einzige fühlbare CGI-Effekt ist ein vorbeifahrender Zug – auf der Erde, in der „Vergangenheit“. Ansonsten ist das niedrige Budget sehr produktiv genutzt: textile, grobe, kratzige Raumanzüge, gepolsterte Quartiere, die automatisch Kammerspiel-Drama-Klaustrophobie erzeugen. Das Raumschiff ist ein pragmatischer Quader, das finale schwarze Loch ein verzerrter Spiegeleffekt und eine gelber Lichtstrahl – gestaltet vom Optik-Künstler Olafur Eliasson, über dessen Namen im Abspann ich angesichts der hier gebotenen Zurückhaltung doppelt überrascht war.
Untermalt ist das ähnlich souverän zurückhaltend von einem brodelnden minimalen Soundtrack von Stuart A. Staples, der hin und wieder in fiesen Jazz gipfelt und erst im Abspann tatsächlich nach Tindersticks klingt (der Band von Staples).
Lieblingsminimoment: Ich mag es, wenn mit sehr einfachen Mitteln sehr überzeugende Effekte erreicht werden – hier, als Monte Leichen durch eine Schleuse entsorgt, sozusagen über Bord wirft und sie absolut geräuschlos in das schwarze Loch der Türöffnung fallen. Uff.
Fazit: Doppeldeutig-hard Sci-Fi über Eltern-werden und Eltern-sein. Episch UND intim. Sehr sehenswert.